Mängelrechte vor Abnahme?
Mängelrechte im Baurecht: Ein Überblick der BGH-Entscheidungen vom 19. Januar 2017
In einer Serie wegweisender Entscheidungen vom 19. Januar 2017 hat der Bundesgerichtshof (BGH) wesentliche Fragen im Hinblick auf die Geltendmachung von Mängelrechten im Baurecht beleuchtet. Diese Urteile sind für alle Beteiligten im Baugewerbe, von Bauherren bis zu Auftragnehmern, von Relevanz.
Im Folgenden möchte ich die Kernaussagen dieser Entscheidungen für Sie zusammenfassen und meine Überlegungen zu diesen Entscheidungen ergänzen.
Wesentliche Kernaussagen der BGH-Entscheidungen
- Abnahme als Voraussetzung für Mängelrechte: Gemäß den Entscheidungen kann der Besteller Mängelrechte nach §§ 633 ff. BGB grundsätzlich erst nach der Abnahme des Werks erfolgreich geltend machen. Diese Voraussetzung unterstreicht die Bedeutung der formalen Abnahme im Bauvertragsrecht.
- Einschränkungen nach Angebot zur Abnahme: Wenn der Unternehmer das Werk als fertig zur Abnahme anbietet, jedoch der Besteller Schadensersatz statt der Leistung verlangt oder die Minderung erklärt, dann geht das Verhältnis von einem Erfüllungs- in ein Abrechnungsverhältnis über.
- Selbstvornahme und Kostenvorschuss: Der BGH hat klargestellt, dass das Recht zur Selbstvornahme und der damit verbundene Anspruch auf einen Kostenvorschuss den Erfüllungsanspruch des Bestellers nicht erlöschen lassen. Dies gibt den Bestellern das Recht, auch nach der Geltendmachung eines Kostenvorschusses weiterhin Nacherfüllung zu fordern.
Praktische Anwendungen und Überlegungen
Die Entscheidungen betonen, dass vor der Abnahme grundsätzlich nur Rechte nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht bestehen. Eine wichtige Möglichkeit, in ein Abrechnungsverhältnis überzugehen, bietet die Kündigung des Werkvertrages, um so Minderungs- und Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Dabei sollte jedoch bedacht werden, dass ein solcher Schritt zum Verlust des Primäranspruchs führen kann.
Mängelrechte im Überblick
Der folgende detaillierte Überblick über die Mängelrechte nach BGB und VOB/B verdeutlicht die unterschiedlichen Rechtsmittel, die dem Besteller nach der Abnahme zur Verfügung stehen. Diese umfassen unter anderem Nachbesserung, Ersatzvornahme und Kostenersatz, Minderung, Rücktritt sowie Schadensersatz statt der Leistung.
Mängelrechte nach BGB:
a) Nacherfüllung §§ 634 Nr. 1, 635 BGB
b) Ersatzvornahme und Kostenersatz – §§ 634 Nr. 2, 637 BGB
c) Minderung – §§ 634 Nr. 3, 638 BGB
d) Rücktritt – §§ 634 Nr. 3, 636, 323 Abs. 3, 326 Abs. 5 BGB
e) Schadensersatz statt der Leistung – §§ 634 Nr. 4, 280, 281 BGB
f) Ersatz sonstiger Schäden: Entfernte Mangelfolgeschäden (früher PVV); Schäden an sonstigen Rechtsgütern des Bestellers – § 634 Nr. 4, 280 BGB
g) Ersatz vergeblicher Aufwendungen – §§ 634 Nr. 4, 284 BGB
Mängelrechte nach VOB/B:
a) Nachbesserung – § 13 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B
b) Ersatzvornahme und Kostenvorschuss – § 13 Abs. 5 Nr. 2 VOB/B
c) Minderung – § 13 Abs. 6 VOB/B (beachte die Abweichung zu § 638 BGB)
d) „Kleiner“ Schadensersatz (an der baulichen Anlage) – § 13 Abs. 7 Nr. 3 S. 1 VOB/B e)„Großer“ Schadensersatz – § 13 Abs. 7 Nr. 2 S. 2 VOB/B
Fazit
Die BGH-Urteile vom 19. Januar 2017 bieten eine klare Richtschnur für die Handhabung von Mängelrechten im Baurecht. Sie klären die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen Mängelrechte vor und nach der Abnahme geltend gemacht werden können, und bieten sowohl juristischen Fachleuten als auch Laien wertvolle Orientierungshilfen. Hierbei steht die Schaffung eines Abrechnungsverhältnisses zwischen den Vertragsparteien im Vordergrund. Mit diesen Entscheidungen wird die Notwendigkeit einer sorgfältigen Vertragsausführung und -abnahme hervorgehoben und gleichzeitig werden Wege aufgezeigt, wie im Falle von Mängeln rechtlich vorgegangen werden kann.